[via Solidarisch G’sund]
Ein Wettlauf zur Errichtung von privaten Medizin-Universitäten hat in ganz Österreich eingesetzt, berichtet die Kärntner Tageszeitung vom 20.6.2012. Projekte gäbe es in Salzburg, Krems und auch in Klagenfurt. Erste Genehmigungen würden im Herbst beantragt.
Man will also die fortschreitende Privatisierung des immer noch teilweise öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesens beschleunigen. Mit mindestens 12.000 Euro Studiengebühren in Krems und 18.000 bis 20.000 Euro in Klagenfurt sind die geplanten privaten Unis ganz offensichtlich den Reichen vorbehalten. Das Land Kärnten will maximal 10.000 Euro pro Jahr für Kinder von „Normalverdienenden“, wie es heißt, bezuschussen. Bleiben also 8.000 bis 10.000 Euro pro Jahr, die ein „Normalverdiener“ zu berappen hat. Solche „Normalverdiener“ müssten allerdings schon Gutverdiener sein, um im Spiel der selbst erklärten Elite der Vermögenden noch mitzumischen oder sich verschulden zu können.
Wozu das Ganze eigentlich?
Wenn die öffentlichen Universitäten nicht den Standards medizinischer Ausbildung entsprechen, dann wäre das ein schwerer Missstand, der durch Investitionen in die öffentlichen Universitäten zu beheben ist, nicht aber durch die Förderung von Privatunis. Wenn die öffentlichen Universitäten jedoch eine Ausbildung auf dem Stand des Wissens ermöglichen, dann sind private Unis erst recht unnötig.
Dennoch: Könnte es einem nicht egal sein, was die Reichen treiben? Ist es von Bedeutung, ob es private Medizin-Unis gibt oder nicht? In der Tat, dies hat erhebliche Konsequenzen. Erstens finanziert der Staat (bundesweit oder über die Landesregierungen) Privatunis zum Teil, die folglich so „privat“ gar nicht sind, wie sie selbst vorgeben. Sie sollen vor allem auf dem Rücken derjenigen Steuerzahler florieren, die vom Zugang ausgeschlossen sind, weil er zu teuer ist. Das Land Kärnten etwa will sich mit einer Anschubfinanzierung von rund zwölf Millionen Euro beteiligen. Das ist nicht gerade wenig. Angeblich soll es auch Bundesstipendien geben für jene, die keine reichen Eltern haben. Der Staat würde also sogar noch die Nachfrage nach den teuren Privatunis subventionieren. Und ein Hörsaaltrakt soll auf dem Gelände des LKH Klagenfurt entstehen, ein Privatsaal auf einer öffentlichen Fläche also.
Zweitens bilden private Medizin-Unis aller Voraussicht nach vor allem Mediziner aus, die in Privat-Kliniken tätig sein werden, wo die Patientinnen zahlungskräftiger sind und daher der Status der Ärzte wie auch ihr Einkommen höher. Die Existenz von Privat-Kliniken aber unterhöhlt das öffentliche Gesundheitswesen weiter. Denn Privat-Kliniken werden über Privat-Vermögen und Privat-Versicherungen finanziert. Was den privaten Versicherungen zugeht, entgeht der solidarisch organisierten Sozialversicherung. Die Ärzte, die durch höhere Einkommen und höheren Status in den Privat-Kliniken angezogen werden, werden von den öffentlichen Spitälern abgezogen. Die Tendenz wäre ein Brain Drain und die finanzielle Aushungerung der öffentlichen Einrichtungen. Dies hat schon in der Vergangenheit häufig dazu gedient, erneute Kürzungen öffentlicher Dienstleistungen zu rechtfertigen und die Qualität der öffentlichen Einrichtungen weiter zu verschlechtern.
Drittens ist der Grund für private Medizin-Unis nicht die Sorge um die Gesundheit. Die Einrichtung privater Medizin-Unis soll vielmehr den sozialen Status der Ärztinnen sichern, indem man sich gegen die „Normalverdienenden“ abschottet. Sie soll zudem den sozialen Status der reichen Patienten sichern, den sie nur zur Schau tragen können, wenn sie auch im Alter oder wenn sie sonst Gesundheitsfürsorge brauchen, von den Ärmeren getrennt leben können. Ein hoher sozialer Status, wie er in sozial ungleichen Gesellschaften existiert, beruht immer auf dem mehr oder weniger gewalttätigen Ausschluss derjenigen, auf denen der hohe soziale Status beruht: also von allen, die weniger verdienen als die selbst erklärte Elite. Dem dient die Einrichtung von privaten Medizin-Unis letztlich.
Dies widerspricht viertens dem Menschenrecht auf Gesundheit. Dieses Menschenrecht, das im UN-Sozialpakt völkerrechtlich verbindlich festgelegt und von Österreich rechtskräftig unterzeichnet worden ist, schreibt fest, dass allen der bestmögliche Gesundheitszustand garantiert sein muss. Dies hat unabhängig von Wirtschaftswachstum oder ähnlichen Konditionen zu geschehen und muss unter dem maximalen Einsatz der verfügbaren Ressourcen geschehen. Wenn die privaten Medizin-Unis eine bessere Ausbildung zur Verfügung stellen, so wird das Menschenrecht auf Gesundheit also verletzt. Nur ein Teil der Ärzte erhält die bestmögliche Ausbildung und daher auch nur ein Teil der Patientinnen die bestmögliche Gesundheitsbetreuung. Sofern die Privat-Unis jedoch keine bessere Ausbildung zur Verfügung stellen, so fragt sich in gleicher Weise, warum die ärmeren Menschen dies mit ihren Steuern finanzieren sollen.
Gegen Privatisierung bedeutet nicht pro Status Quo
Wer gegen private Medizin-Unis ist, verteidigt jedoch nicht automatisch das bestehende staatliche Universitätssystem. Denn dieses ist ebenfalls von Zugangsbeschränkungen betroffen. Diese werden bislang weniger über das Einkommen und mehr über bürokratische Tests, deren Sinnhaftigkeit mehr als fraglich scheint, erzwungen. Zudem verschärfen sie den drohenden Ärztemangel. Darüberhinaus hat die kapitalistische Wirtschaft längst schon ihre Arme tief in die öffentlichen Strukturen eingesenkt. Die medizinische Forschung ist in vielen Aspekten vermutlich nur mehr in eingeschränktem Sinne als objektiv und also mit Vorbehalt weiterhin als eine Wissenschaft zu bezeichnen. Wenn vor allem kapitalistische Pharmakonzerne und Gerätehersteller bestimmen, was geforscht wird, so hat das weder mit Wissenschaft noch mit dem Streben nach bestmöglicher Gesundheit zu tun. Hier geht es vielmehr um Profit, und das ist etwas ganz anderes.
Auch die Ausbildung der Ärztinnen lässt zu wünschen übrig. Soziale Kompetenzen werden kaum vermittelt und eine große Zahl des hochqualifizierten medizinischen Personals strebt wohl schlicht nach hohen Einkommen als danach, anderen zu helfen. Solcherart sozialisierte Ärzte sind also eine durchaus ambivalente soziale Gruppe. Slowenien etwa besaß im Rahmen der jugoslawischen Bundesrepublik, anders als Österreich, ein vollständig öffentliches und von der WHO als vorbildlich bewertetes Gesundheitswesen. Die slowenische Ärzteschaft war eine jener Gruppen, die am schärfsten für eine Privatisierung des Gesundheitswesens eintrat.
Wo sich Status nicht an persönlichem Verdienst, an dem Dienst am Menschen und nach kooperativen Fähigkeiten bemisst, sondern an der Größe von Einkommen (und das muss er, sobald Einkommensungleichheit besteht), steht das Streben nach hohem Status einer guten medizinischen Ausbildung entgegen.
Ein solidarisches Gesundheitswesen muss plural sein
Dazu kommt schließlich, dass die Medizin, mehr als alle anderen Wissenschaften, eine Erfahrungswissenschaft darstellt. Das Wissen über den Menschen und seine Gesundheit ist sicherlich sehr begrenzt. Was zählt ist allein der Erfolg der Heilung oder einer Linderung. Die Medizin tendiert daher zu einer wildwüchsigen Methodenvielfalt: „Was heilt, ist richtig“, so kann man ihre Logik auf den Punkt bringen.
Daraus erklärt sich zu einem großen Teil die real vorfindliche Vielfalt der medizinischen Methoden und Philosophien. Anders als etwa die moderne Physik, worin eine Theorie entweder gilt oder nicht gilt, zeichnet sich die Lehre von der Heilung durch eine enorme Spannbreite schon der Zugänge zum Menschen aus: von der Traditionellen Chinesischen Medizin, die fraglos in hohem Grade heilwirksam ist, jedoch in keiner Weise naturwissenschaftlich arbeitet, über Homöopathie und Psychosomatik bis zur Schulmedizin.
Diese Methodenvielfalt nun hat nur in äußerst eingeschränkter Weise einen Platz im öffentlichen Bildungssystem. Ein Missstand, der nicht nur zum Schaden der Patientinnen gereicht, die je unterschiedlich auf verschiedene Ansätze reagieren, sondern auch nicht rational begründet werden kann. Die Ausweitung von Ansätzen, die nicht zur Schulmedizin gehören selbst in ansonsten schulmedizinischen Arztpraxen bezeugt diesen Sachverhalt. Wieviele Haus- und Fachärzte bieten heute bereits Akupunktur oder Homöopathie an?
Der Wissenschaftsphilosoph Paul Feyerabend folgerte: Wenn es keine einzige objektiv begründbare wissenschaftliche Methodik gibt, was er anhand der Physik zeigte, kann es auch kein „Wissenschaftsmonopol“ mehr geben. Praktisch gesprochen hat die Allgemeinheit dann eben eine Vielfalt an Methoden gleichermaßen zu fördern und den Wettstreit der Argumente und die wechselseitige Befruchtung und Korrektur zu unterstützen.
Eine Demokratisierung der Medizin tut Not
Dies muss zu einer Demokratisierung der medizinischen Ausbildung im Speziellen und der Universitäten im Allgemeinen führen. Erstens im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Alltagswissen, das sich auf einer Kooperation auf Augenhöhe gründen muss und nicht auf einem Kontrollanspruch der Wissenschaft. Zweitens innerhalb der Wissenschaft selbst. Das bedeutet nicht nur, dass der Kapitalismus aus der Medizin gedrängt und folglich überhaupt überwunden werden muss. Dies bedeutet ebenso, dass man die Vielfalt der Methoden wertzuschätzen lernt anstatt eine einzige mit fadenscheinigen Argumenten (wenn überhaupt mit Argumenten) faktisch zum Deutungsmonopol zu erklären.
Eine solche Demokratisierung würde auch zu einer Zurückdrängung der medizinischen Institutionen führen. Sie disziplinieren und kontrollieren inzwischen vom Mutterleib bis zum Tod das gesamte menschliche Leben und er ersticken es damit. Ganz praktisch zeigt sich das etwa in der Medizinalisierung der Geburt. Sie ist zwar keine Krankheit, sollte laut gegenwärtigem schulmedizinischem Mainstream jedoch grundsätzlich in Krankenhäusern stattfinden. Dieser Zugang erinnert an die Meinung der 1970er Jahre, Menschen mit schweren geistigen Behinderungen wären am Besten in der Psychiatrie aufgehoben – was in Österreich vielfach der Fall war und bei den von der Gesellschaft behinderten Menschen erst zu Krankheitsbildern führte.
Wie die WHO nachweist, ist das Risiko bei Krankenhausgeburten höher als bei Hausgeburten. Dennoch steigt auch in Österreich die Rate von Kaiserschnitten im Schnitt. Zugleich wird die schwache Renaissance weiblichen Geburtswissens, das mit der Frauenbewegung in den 1970er Jahren einsetzte, wieder zurückgeschlagen, um es auf dem Stand der neuzeitlichen Enteignung der Frauen durch die „Medizin-Männer“ zu halten und letztlich restlos auszulöschen. Hebammen werden nun wieder aus manchen Krankenhäusern gedrängt oder, wenn sie frei praktizieren und Hausgeburten betreuen, immer wieder mit Klagen zur Passivität verdammt und an der Ausübung ihres Berufs gehindert.
Die Einrichtung privater Medizin-Unis kann eine Verbesserung in all diesen Bereichen nicht nur nicht erreichen. Sie würde vielmehr den in eine falsche Richtung fahrenden Zug der Privatisierung des Lebens beschleunigt fortsetzen.